Am Veröffentlichungstag dieses Whitepapers sind Vorsätze fürs Neue Jahr schon wieder 4 Wochen alt. Und wie viele sind davon noch bei Ihnen übrig? Behalten Sie die Antwort für sich. Eine Studie des britischen Psychologen Richard Wisemann zeigt auf, dass nach einem Jahr nur rund 10% der Befragten ihre Vorsätze umgesetzt hatten, nachdem an Neujahr rund 50% fest davon ausgegangen sind, dass sie ihre Vorsätze realisieren werden.
Dass das nicht nur mit den Vorsätzen für das Neue Jahr so ist, sondern wir das ganze Jahr Dinge „auf später verschieben“, hat sicher jeder schon einmal erlebt. Das „das mache ich später“ betrifft nicht nur Vorsätze, sondern auch anstehende, zu erledigende Aufgaben. Manchmal fangen wir erst damit an, wenn der Erledigungstermin eigentlich schon nicht mehr zu erreichen ist. Und das ist dann in den meisten Fälle mit Stress, Hektik, Unzufriedenheit, Wut und Ärger verbunden. Die Aufschieberitis, wie das Aufschieben auch umgangssprachlich genannt wird, kann im privaten wie im beruflichen Kontext auftreten.
Wann kann Aufschieben zum Problem werden und wann ist es ein gesundes Verhalten? Was ist der Grund, dass wir immer wieder Dinge aufschieben und so wenig ins Tun kommen? Was sind Lösungsansätze, die helfen können? Darum geht es in diesem Whitepaper.
Prokrastination
Ein Aufschieben wird als dann Prokrastination bezeichnet, wenn trotz vorhandener Fähigkeiten und Gelegenheiten wichtige und dringende Aufgaben auf einen späteren Zeitpunkt verschoben werden und dabei die Fertigstellung oft zu spät erfolgt. Meist handelt es sich dabei um Aufgaben, die ein hohes Maß an Konzentration und/ oder abstraktem Denken erfordern. Prokrastination bedeutet „Aufschub“, „Vertagung“ und leitet sich aus dem lateinischen Substantiv procrastinatio ab. Auch das unnötige Unterbrechen von Aufgaben fällt unter die Prokrastination. Prokrastination verhindert, dass wir den Erfolg erzielen, den wir verdient haben und verursacht durch die Anzahl oder den Umfang der nicht erledigten Aufgaben Stress. Beim regelmäßigen Aufschieben spricht man vom pathologischen, also krankhaften Aufschieben. Manchmal wird auch dieser Zustand erst als Prokrastination bezeichnet. In jedem Fall ist ab einem chronischen Aufschieben medizinischer Rat einzuholen. Denn im Extremfall führt Prokrastination zu ernsthaften persönlichen und beruflichen Konsequenzen.
Das Verhalten des Aufschiebens ist dagegen gesund und unkritisch, wenn wir keinen Leidensdruck verspüren und sogar einen positiven Effekt bei der Fertigstellung kurz vor dem Abgabetermin verspüren. Werden Aufgaben durch äußere Umstände im Rahmen einer Neu-Priorisierung verschoben, handelt es sich ebenfalls nicht um prokrastinieren.
Prokrastination kommt häufig bei Menschen vor, die selbstbestimmt arbeiten, wie Unternehmer, Lehrer, Journalisten, Künstler usw. und schließt auch Studenten ein. Die Verkäuferin an der Supermarktkasse kann naturgemäß ihre Aufgaben nicht später machen. Daher ist es eher ein berufsbezogenes Phänomen. Es verläuft auch immer nach dem gleichen Muster, zunächst sind wir noch voller Euphorie, dann kommt „ach, es ist ja noch Zeit”, dann fangen wir vielleicht mal an und merken im letzten Drittel der Zeit, dass noch zwei Drittel der Arbeit zu erledigen ist und das jetzt knapp wird. Das zeigt auch nochmal nachstehende Graphik.
Auch wenn Prokrastination immer eine Verhaltensweise eines einzelnen Menschen ist, so kann sie doch auch ganze Unternehmen „infizieren“, wenn der Unternehmer und seine Führungskräfte dies praktizieren. Denn bekanntlich „stinkt der Fisch vom Kopf“, wie wir im gleichnamigen Whitepaper erläutert haben.
Was hält Sie davon ab?
Der Widerstand vor dem Anfangen ist nicht durch DIE eine Ursache erklärbar. Um der Prokrastination weiter auf den Grund zu gehen, wollen wir uns nachfolgend aus Sicht der Verhaltensforschung mit dem Thema auseinandersetzen. Wen die neurobiologischen Grundlagen dazu interessieren, dem sei eine kurze Google-Suche nach “Prokrastination und Dopamin” nahegelegt. In den meisten Fällen hat es auch nichts mit mangelnder Disziplin oder fehlender Willenskraft zu tun, dass wir bevorstehende Aufgaben nicht beginnen. Vielmehr liegen beim Aufschieben Schwierigkeiten der Selbststeuerung vor. Selbststeuerung wiederum ist die Fähigkeit, das eigene Verhalten zu beobachten, zu bewerten und gezielt an den eigenen Zielen ausgerichtet, anzupassen. Die Herausforderungen bei der Selbststeuerung äußern sich in unterschiedlichen Gründen:
- Die Angst, zu versagen, weil wir nicht sehen können oder daran glauben, dass wir es schaffen. Ein Scheitern empfinden wir für nicht aushaltbar.
- Weil nicht bei jeder Aufgabe von vornherein klar ist, wie sie zu erledigen ist und dabei womöglich unangenehme Gefühle auftreten können, wenn wir an einen Punkt gelangen, wo wir z.B. Unterstützung benötigen.
- Auch geringe Frustrationstoleranz kann uns hindern, anzufangen. Denn vielleicht benötigen wir mehrere Versuche, Anläufe oder Versionen bis die Aufgabe in der gewünschten Qualität fertig gestellt ist. Diese Rückschläge gehören dazu, wir sind aber nicht daran gewöhnt, mit ihnen konstruktiv umzugehen.
- Fehlende Prioritäten in der Abarbeitung der vielen bestehenden Aufgaben führt dazu, dass wir nicht wissen, womit wir anfangen sollen und es besteht das Risiko, dass die Entscheidung falsch ist, so dass wir, um diese Falschentscheidung zu vermeiden besser nichts tun.
- Manchmal unterschätzen wir den Zeitaufwand, den eine oder die anstehenden Aufgaben benötigen, planen auch keine Puffer ein und aus dem „das bisschen schaffe ich schon rechtzeitig“ wird dann eine echte Herausforderung, noch bis zur Fälligkeit fertig zu werden.
- Es gibt auch Situationen, wo wir uns nicht klar entscheiden können, welche Aufgabe, welches Vorhaben wir nun lieber umsetzen wollen. Das Bedürfnis nach Sicherheit kollidiert mit dem Wunsch nach Veränderung. Wenn dann die Entscheidung schwerfällt, gehen wir nichts davon an und ärgern uns, dass wir weder das eine noch das andere erreicht haben.
Am Ende überzeugen aus unserer Sicht zwei Gruppen von Gründen: Unsicherheiten bzw. Ängste und Unklarheiten. Unsicherheiten bzw. Ängste lassen uns nicht anfangen, weil wir nicht genau wissen, was wir wann wie tun sollen und weil die Angst unser Handeln lähmt. Bei der Gruppe der Unklarheiten, wissen wir nicht genau, warum wir etwas tun sollen, dadurch lehnen wir es ab oder fehlt es uns an ausreichender Start- und Durchhalte-motivation. Unabhängig davon, welcher Grund zutrifft, er lässt uns Alternativtätigkeiten erledigen, wie E-Mails beantworten, Social Media verfolgen, aufräumen usw. Das kann soweit gehen, dass wir Termine nicht einhalten und dafür lieber billigend die Konsequenzen in Kauf nehmen. Beispielsweise im beruflichen Umfeld bei der Nicht-Abgabe einer Terminsache den Ärger über uns ergehen lassen.
Egal, ob Sie unserer Überzeugung folgen, was die Gründe sind und zu welcher Gruppe sie gehören. Ja, auch dann, wenn Sie die Gründe bei sich selbst nicht kennen, gibt es für alle Lösungen.
Finden Sie Ihre Ziele und machen Sie sie greifbar
Bei den Maßnahmen gegen das Aufschieben gibt es ebenso viele Antworten wie bei den Gründen. Auch hier gibt es ganz pragmatische Tipps und Tricks und einen übergeordneten Lösungsansatz.
Eine Auswahl von Tipps und Tricks, die Sie auf jeden Fall unterstützen:
- Planen Sie Zeiten, an denen Sie sich ausschließlich mit der Aufgabe beschäftigen und lassen Sie dabei durch nichts unterbrechen. Daher legen Sie lieber kürzere Zeitfenster fest als zu lange.
- Zerlegen Sie die Aufgabe in Teilschritte. Kleinere Teilschritte sorgen dafür, dass ein Einreichen sicherer ist.
- Finden Sie heraus, ob welche Arten von Aufgaben bzw. Vorhaben Sie aufschieben. Was sind die Gemeinsamkeiten/Muster? Schreiben Sie es auf.
- Schalten Sie ganz bewusst alle Ablenkungen durch E-Mails, Telefon, Social Media u.ä. aus, wenn Sie an Ihrer Aufgabe arbeiten.
- Belohnen Sie sich, wenn Sie einen konzentriert und mit Ergebnissen an Ihrem Vorhaben gearbeitet haben und versprechen sich das bereits, bevor Sie anfangen. Ja, das mag nicht wichtig klingen. Die Tasse Kaffee schmeckt aber umso besser, je mehr Sie mit einem positiven Gefühl von Stolz und Zufriedenheit genießen.
- Werden Sie aktiv auch ohne Lust darauf. Denn manchmal kommt die Lust auch beim Tun. Denn es ist nicht gesagt, dass Sie in zwei Stunden oder am nächsten Tag Juhu! schreien, wenn Sie an die Erledigung der Aufgabe denken. Stellen Sie sich lieber vor, wie gut Sie sich fühlen, wenn sie erledigt ist.
- Priorisieren Sie die anstehenden Aufgaben. Machen Sie die wichtigsten Aufgaben zuerst. Die Motivation ist umso höher, je mehr Sie von den wichtigen Aufgaben erledigt haben. Auch wenn sie nicht dringend sind.
- Rechne Sie mit Rückschlägen und planen Sie dafür Zeitpuffer ein. Rückschläge sind Teil des Erfolgs.
Wenn das Aufschieben trotz der ganzen pragmatischen Kniffe ein Phänomen Ihres Lebens ist und bleibt, wenn vielleicht auch nur in Teilbereichen, dann hilft ein Auseinandersetzen mit dem dahinter liegenden Aspekt.
Ein Aufschieben ist oft ein Hinweis darauf, dass etwas prinzipiell verändert werden sollte. Das die Aufgabe nämlich nicht zu unserem Ziel in diesem Bereich passt. Daher müssen wir uns unser Ziel klar machen und in Form einer Zielpyramide das (Gesamt-)Ziel in Teilziele zerlegen, den Teilzielen Unterziele zuzuordnen. Aus den Unterzielen sollten sich dann die anstehenden Aufgaben/Vorhaben ableiten. Sofern das noch nicht der Fall ist, dann sind die Unterziele noch zu hoch aggregiert und müssen weiter herunter gebrochen werden. Dieser Vorgang ist so lange zu wiederholen, bis die Aufgaben/Vorhaben greifbar sind.
Ein Beispiel vom Ziel zu den Aufgaben
Lassen Sie uns die Idee der Zielpyramide an einem vereinfachten Beispiel erläutern. Nehmen wir mal an, Sie sind unzufrieden, da Sie aktuell zu viel operative Tätigkeiten ausüben und zu wenig Zeit für die strategischen Aufgaben haben, die dringend notwendig sind. Denn Ihnen fehlt der Mitarbeiter für eine verantwortungsvolle Führungsaufgabe unterhalb der Geschäftsführung und sie sind kein Fan von den Gesprächen mit den verschiedenen Kandidaten. Daher finden diese auch oft recht spät nach Zugang der Bewerbung und nur unter „Zähne knirschen“ mit Ihnen statt. In der Vergangenheit kam schon häufiger vor, dass Sie für gute Bewerber zu spät dran waren, da diese sich schon für den Wettbewerb entschieden hatten. Aufgrund von Recherchen wissen Sie inzwischen, dass der Prozess von Eingang der Bewerbung bis zur Mitteilung der Entscheidung nicht länger als 10 Arbeitstage in Ihrer Branche dauern soll. Daher soll sich jetzt was ändern.
Mit diesem Vorsatz lautet des Gesamtziel – Endlich wieder Zeit für Strategie. Das Gesamtziel lässt sich vereinfacht in die Teilziele Führungskraft eingestellt und Führungskraft eingearbeitet zerlegen. Darunter gibt es die Unterziele Ausschreibung vornehmen, Bewerbungsgespräche durchführen und Einstellungsprozess abschließen. Jetzt sind wir noch nicht am Ende. Denn wir gehen wirklich bis zur Aufgabe runter. Daher – das Unterziel Bewerbungsgespräche führen lässt sich in die Maßnahmen Bewerbungen sichten, Gespräch mit Kandidaten durchführen und Entscheidung Kandidat mitteilen zerlegen. Die Maßnahme Gespräch mit Kandidaten durchführen wiederum enthält die Aufgaben: Bewerbungen sichten, geeignete Kandidaten auswählen, Termin mit Kandidaten abstimmen, Unterlagen zum Kandidaten intern bereitstellen, Kandidatengespräch durchführen.
Die Maßnahme Gespräch mit Kandidaten führen muss unter Berücksichtigung der Vorgabe der 10 Arbeitstage bis zum 9. Arbeitstag abgeschlossen sein, da Sie nach einem Gespräch nochmal eine interne Abstimmung benötigen und die nicht immer taggleich stattfinden kann. Wenn Ihnen das bewusst wird und worauf die Aufgabe am Ende einzahlt, nämlich endlich wieder mehr von dem tun zu können, was Sie mehr mögen. Dann sollte es Ihnen leichter fallen, bis zum 9. Arbeitstag einen Termin in Ihrem Kalender für ein Kandidatengespräch zu finden und ggf. freizuschaufeln.
Heben Sie das Aufschieben auf
Wenn Sie jetzt wissen wollen, ob und inwieweit Sie von Prokrastination betroffen sind, dann gibt es hier einen Test der Universität Münster oder Sie erinnern sich beim nächsten Mal, bevor Sie etwas aufschieben, daran, wie die Aufgabe auf Ihre Ziele einzahlt und seien Sie stolz, auf jeden Fortschritt den Sie machen, möge er noch so klein erscheinen. Also, fangen Sie an!
Diesem Whitepaper können Sie ab 8. Februar 2021 um 16.00 Uhr auch als 5. Episode unseres Podcasts „DIE BUSINESSFLÜSTERER“ lauschen.